von: Martin Pasbrig:
Der persuasive Charakter
des Kommunikationsprozesses.
(pädagogik und hermeneutik, 6)
Als Problemlösung wird die Hypothese vertreten, daß Kommunikation stets ein aufeinanderbezogenes, symbolisches Handeln von Menschen ist, die in einem Prozeß stehen, der notwendig immer einen persuasiven Charakter trägt. Außerdem wird jede Kommunikation, die über die Verständigung hinaus einen Zweck verfolgt, als Persuasion aufgefaßt. Potentiell kann auch jedes gegenseitige Verständigen, das Bedingung für die Realisierung der Zwecke ist, persuasiven Absichten dienen. Es soll ferner belegt werden, daß Persuasionen prinzipiell mehr überredende als überzeugende Züge annehmen, und dieses unabhängig von den Intentionen der Kommunikationsteilnehmer. Einen anderen zu überzeugen ist dann der theoretische, der ideale Fall. Überzeugen bleibt die Ausnahme, weil die noch zu erläuternden Voraussetzungen für Überzeugungsprozesse nur selten erfüllt werden.
Die Untersuchungshypothese vom notwendig persuasiven Charakter des Kommunikationsprozesses kann auf zwei Arten gedeutet werden: das Persuasive erscheint zum einen als inhärentes Merkmal und zum anderen als erzeugtes Resultat des ablaufenden Prozesses. Wenn Persuasion als ein Produkt betrachtet wird, stellt sich die Frage nach den Bedingungen, Mitteln und Methoden. Eine vollständige Antwort besteht aus einer Theorie, in der die Faktoren des Persuasionsprozesses durch eine Analyse beschrieben, klassifiziert und schließlich erklärt werden. Eine Wertung oder Abwertung von persuasiven Mitteln bleibt ethischen Betrachtungen vorbehalten, die nicht Bestandteile einer Theoriebildung persuasiver Kommunikation sind. Hier geht es darum, die Bestimmungsstücke einer Theorie herauszustellen, um die aufgestellte Hypothese zu erhärten. Der Persuasionsbegriff wird nachfolgend in Anlehnung an die Konzeption von Ungeheuer entwickelt und in fortschreitender Analyse noch erweitert. Das Phänomen Persuasion wird nicht aus einer sozialpsychologischen, sondern aus einer kommunikationstheoretischen Perspektive betrachtet, in der Prozesse statt Objekte im Vordergrund stehen.
Im Gegensatz zu einer behavioristischen oder positivistischen Methode wird für die folgenden Analysen die menschliche Lebenswelt explizit eingeschlossen. Dies impliziert einen phänomenologischen Ansatz, der für Untersuchungen über intentionale Phänomene angezeigt ist, um nicht durch eine rigide Festlegung auf sinnlich Beobachtbares einen Großteil der zugänglichen Erscheinungen auszublenden.
[...]
Personales Vertrauen ersetzt rationale Einsicht, Wissen und
Kompetenz.
Nicht nur bei persönlichen Angelegenheiten, sondern auch in
Sachfragen
muß vertraut werden. Komplizierte wissenschaftliche Methoden und
Lösungen werden nur von wenigen tatsächlich verstanden und
beherrscht.
Der Nichtexperte auf einem Gebiet, und das sind immer nahezu alle
Gesellschaftsmitglieder,
muß glauben und vertrauen. Sympathie fördert Vertrauen, und
doch wird ebenso dem unsympathischen Experten geglaubt: die
Vertrauensleistung
ist nicht zwingend an sympathische Gefühle gebunden. Der Aufbau
der
Vertrauensbasis geschieht nach den Vorurteilen der Welttheorie des
"Opfers",
die der erfolgreiche "Täter" nutzt, um behutsam und systematisch
seine
Vertrauenswürdigkeit zu entwickeln. Ungeheuer differenziert die
Vertrauensbeziehung
nach:
"Geltungsbereich, (Vertrauen auf Charakter, Fähigkeiten,
Qualität
von Handlungen, Funktionstüchtigkeit in Kooperation), Grund
(Vertrauen
wegen autoritärer Empfehlung, Zugehörigkeit zu einer Gruppe,
äußerem Verhalten, Inhalt und Art des Sprechens, Einhaltung
von Obligationen), Ziel (Vertrauen, um die gewünschte H2
begründet
zu sehen; um gewisse Personen, einschließlich dem Täter,
nicht
zu verletzen; um Täuschungsmanöver zu entdecken). Man
erkennt,
daß es sich hierbei um subjektive Kategorien desjenigen
Individuums
handelt, das Vertrauen aufbringt" (Ungeheuer 1983c: 19).
Unbedingte Sicherheit macht Vertrauen überflüssig.
Vertraut
wird bei Entscheidungen oder Erwartungen unter Risiko, die unsichere
Zukunft
wird in der Gegenwart als sicher angenommen. Der Vertrauende muß
etwas riskieren, er gibt einen Einsatz, denn er kann enttäuscht
werden:
"Vertrauen ist letztlich immer unbegründbar; es kommt durch
Überziehen
der vorhandenen Information zustande ... Vertrauen bleibt ein Wagnis."
(Luhmann 1968: 23 - 24)
Wer vertraut, tut dies aus gutem Grund, denn Mißtrauen belastet, erhöht die Komplexität und verringert die Handlungsmöglichkeiten. Die Bestätigung des Vertrauens ist Routine, wohingegen eine einmalige Enttäuschung das ganze Vertrauen zerstören kann. Nur der alleinige Verdacht, als Vertrauenden getäuscht zu werden, untergräbt das Vertrauen. Vertrauen muß geschenkt und kann nicht erzwungen werden.
Neben dem unmittelbar erfahrenen persönlichen Vertrauen gibt es
systembezogenes Vertrauen in gesellschaftliche Größen wie
Geld,
Banken, Versicherungen, Gesetze, Polizei, Parlament usf. Der
Vertrauende
erwartet bestimmtes Verhalten oder Handeln, und er erwartet, daß
andere etwas erwarten und vertrauen. Die Erwartungserwartung oder
wechselseitige
Erwartbarkeit ist ein reflexives Prinzip, das Systemvertrauen fundiert
und bestätigt. Gegebenes Systemvertrauen reduziert die nicht
überschaubare
Komplexität der Gegenwart, die der einzelne ansonsten tragen
müßte.
Luhmann erläutert das Komplexitätsproblem im Rahmen seiner
Systemtheorie:
"Für jede Art realer Systeme in der Welt, und seien es physische
oder biologische Einheiten, Steine, Pflanzen oder Tiere, ist die Welt
übermäßig
komplex: Sie enthält mehr Möglichkeiten als die, auf die das
System sich erhaltend reagieren kann. Ein System stellt sich auf eine
selektiv
konstituierte 'Umwelt' ein und zerbricht an etwaigen Diskrepanzen
zwischen
Umwelt und Welt. Dem Menschen allein wird jedoch die Komplexität
der
Welt selbst und damit auch die Selektivität seiner Umwelt
bewußt
und dadurch Bezugsproblem seiner Selbsterhaltung." (Luhmann 1968: 4)
Die internen Prozesse des Organismus modellieren ein Umweltbild mit
geringerer Komplexität, als die der Umwelt. Trotzdem hat der
Handelnde
immer mehr Handlungsoptionen als verwirklicht werden können. Eine
Selektion der Möglichkeiten muß stattfinden und findet
laufend
statt. Vertrauen ist dabei ein wichtiges Mittel, um Komplexität zu
verringern und damit Handeln zu ermöglichen. Ohne Systemvertrauen
ist eine Gesellschaft der Moderne weder vorstellbar noch
funktionsfähig.
Unter den Formen des systembezogenen Vertrauens hebt Juchem ein
fundamentales
Prinzip hervor:
"Das Vertrauen in die Bedingungen der Kommunikation ist ein
Systemvertrauen
besonderer Art, das eine grundlegende Bedingung der Alltagswirklichkeit
darstellt und alle weiteren Ausprägungen des Vertrauens fundiert.
Es wird daher in diesem Zusammenhang 'Basisvertrauen' [Hervorh. nicht
im
Orig.] genannt."
(Juchem 1988: 102 103)
Das Basisvertrauen besteht aus dem unverrückbaren Glauben an
gemeinsam
geteilte Erfahrungen, Deutungsschemata und Kommunikationsbedingungen.
Die
Möglichkeit und der Sinn von Kommunikation wird durch das
Basisvertrauen
hergestellt und begründet. Das Basisvertrauen ermöglicht
kommunikatives
Handeln in der Alltagswirklichkeit, das einen Kontext herstellt, in dem
die Handlungen als Regelhaftigkeiten erscheinen, die daraufhin zu einer
Bestätigung des Basisvertrauens führen, das zu weiterem
Handeln
gemäß des Basisvertrauens führt usw. Ausgehend von
einem
Axiom wird durch Handeln, das auf diesem Axiom basiert, reflexiv das
Axiom
bestätigt oder reproduziert. Etwaige Probleme in diesem
zirkulären
Prozeß werden fehlerhaftem Handeln zugeschrieben und nicht etwa
dem
postulierten Axiom:
"So ist also das Basisvertrauen als Handlungshintergrund unserer
Alltagswirklichkeit
weit weniger enttäuschungsanfällig als das auf diesem
beruhende
personale Vertrauen, da es als Systemvertrauen bei Konfusionen
Erklärungen
bietet, die es dem Handelnden gestatten, die Ursachen dieser Konfusion
als falsche Anwendungen der Regeln des Systems auszuweisen oder den
Handelnden
selbst in einen Bereich außerhalb des Systems zu 'verrücken'
... Der Bruch des Basisvertrauens ist nur möglich bei Gefahr
psychopathischer
Existenz. Wer als ego des Handelns diesen Bruch vollzogen hat, stellt
sich
damit außerhalb dessen, was die Gesellschaft als "normal"
bezeichnet.
Er wird zum pathologischen Fall." (Juchem 1988: 113)
Das Basisvertrauen sichert die Existenz von fraglos gegebenen
Wahrheiten,
was für wahr gehalten wird, ist von den Konventionen einer
bestimmten
Gesellschaft abhängig.
Getäuscht werden können andere oder die eigene Person.
Täuschen
ist reflexiv: Selbst täuschen kann ein Mensch sich über sich
selbst oder über einen anderen. Ein anderer kann mit Absicht oder
ohne Absicht getäuscht werden. Diese Unterscheidungen sind noch
nicht
ausreichend, denn jemand kann sich nach der Auffassung von Ungeheuer
auch
absichtsvoll über sich selbst oder einen anderen
täuschen.
Im weiteren wird der Klassifikation von Ungeheuer nach Absichtlichkeit
und Unabsichtlichkeit bei Selbsttäuschungen und
Fremdtäuschungen
gefolgt, obgleich die Existenz absichtlicher Selbsttäuschungen
kontrovers
diskutiert werden kann. Intentionale Selbsttäuschungen erscheinen
als eine Form von Selbstsuggestion, für die es beispielsweise die
Redewendungen "sich etwas vormachen" oder "sich in die Tasche
lügen"
gibt. Das geplante Täuschen von anderen bezweckt einen
Vorteil
für den Täuscher, Löw-Beer erläutert die Situation
des Selbsttäuschers, der sich über sich selbst täuscht:
"Der Selbsttäuscher irrt sich über etwas, das für ihn
wichtig ist. Würde er die Einsichten, die er vermeidet, zur
Kenntnis
nehmen, müßte er sein Selbstverständnis verändern.
Hinzu kommt, daß der Selbsttäuscher fähig wäre,
diese
Fehler zu vermeiden, ja, daß er sogar etwas tut, um den Irrtum
nicht
aufzuklären: Er lehnt es ab, sich die Gründe klarzumachen,
die
gegen sein Selbstverständnis sprechen, wählt
Selbstinterpretationen,
die den Zweck haben, die Angemessenheit des eigenen
Selbstverständnisses
zu verteidigen (s. Kap. IX, 2.1). Um es zu stützen, sucht er
gezielt
nach Evidenzen und vermeidet Situationen, die es erschüttern
könnten.
Damit würde man zu folgender allgemeinen Charakterisierung von
Selbsttäuschung
gelangen: Sie wäre erstens ein Irrtum über subjektiv
Bedeutsames,
das das Selbstverständnis der Person in Frage stellt. Sie
wäre
zweitens ein Irrtum, den die Person vermeiden könnte, wenn sie
wollte,
aber den sie nicht vermeiden will. Sie wäre schließlich
drittens
ein Irrtum, für dessen Erhaltung sie etwas tut." (Löw-Beer
1990:
239)
Täuschen kann verbal oder nonverbal geschehen. Da der
Kommunikationsprozeß
und der Persuasionsprozeß als sprachliches Handeln definiert
wurden,
wird das Feld nonverbaler Täuschungen nicht weiter behandelt.
Fremdtäuschungen
sind nur er-
folgreich und existent, wenn sie nicht erkannt werden:
"Da der Getäuschte nur getäuscht ist, wenn er die
Täuschung
nicht bemerkt, sobald er sie bemerkt hat, er nicht mehr von der
Täuschung
betroffen ist, sondern ein Getäuschter nur insofern bleibt, als er
weiß, daß er getäuscht wurde, kann Täuschung als
Individualhandlung des Täuschenden aufgefaßt werden.
Derjenige,
der sich von dem Täuschenden täuschen läßt,
weiß
dies nicht, vielmehr vollzieht er seine kommunikativen Handlungen
vertrauensvoll
wenn auch, bei entsprechender Lebenserfahrung, wachsam." (Ungeheuer
1983c:
24)
Das Täuschen über etwas impliziert eine Beziehung zwischen
etwas Vorgetäuschtem und etwas "Richtigem", Ungeheuer
präzisiert
die beiden Größen:
"Der Kern kommunikativer Täuschungshandlungen besteht immer in
dem Verhältnis zweier Wissens-Inhalte, dem richtigen (Wr) und dem
täuschenden (Wt). In dieser Verbindung darf Richtigkeit nicht mit
Wahrheit verwechselt werden; welches der richtige Wissensinhalt ist,
auf
den bezogen der Täuschungsinhalt aufgebaut ist, kann
unterschiedlich
bestimmt sein ... Wr wird vom Täuscher gewußt, Wt vom
Getäuschten
als Wissensinhalt aufgrund der äußeren
Kommunikationshandlungen
des Täuschers hergestellt, die verbale und nonverbale
Anstrengungen
umfassen." (Ungeheuer 1983c: 24 - 25)
Der Grad der Täuschung ergibt sich aus der Differenz von Wr und
Wt, die Negation von Wr als Wt zu vermitteln, ist die extremste Form
der
Täuschung. Zu beachten ist die Differenz zwischen dem richtigen
Wissensinhalt
Wr und einem "wahrem" Wissensinhalt. Was für richtig
gehalten
wird, schwankt in der vollen Breite von vager Vermutung, von fester
subjektiver
Überzeugung bis hin zu wissenschaftlich und methodisch
begründeten
Annahmen. Der richtige Wissensinhalt ist zumeist eben nicht der "wahre"
Inhalt, sondern ein Ungefährwissen, das zu einem bestimmten
Zeitpunkt
aus bewußt oder unbewußt Geglaubtem besteht. Das exakte,
methodisch
begründete Wissen macht nur einen verschwindend kleinen Teil der
kommunizierten
Inhalte aus, es müßte korrekter von richtigen oder
vorgetäuschten
Glaubensinhalten gesprochen werden.
Nach einem ideal verlaufenden Kommunikationsprozeß
verfügen
Sprecher und Hörer über den gleichen Wissensinhalt Wr, den
der
Sprecher beim Hörer hervorrufen wollte. In der Praxis bedingt die
Unterschiedlichkeit der Erfahrungstheorien eine Abweichung zwischen den
Wissensinhalten der Kommunizierenden nach der gegenseitigen
Verständigung.
Für die Realisierung von praktischen Zwecken ist eine Differenz
zwischen
dem Gemeinten und dem Verstandenen solange sie "genügend" klein
ist,
wobei genügend klein von der Situation abhängt, für die
Handelnden unproblematisch und kann vernachlässigt werden. Der
Hörer
gelangt nicht zu Wr, sondern bleibt bei einem von beiden nicht
intendierten
Inhalt stehen, der Wr nahe kommt. Falls die Differenz das Kriterium
"situativ
genügend klein" überschreitet, gelangt der Hörer
lediglich
zu einem Wissensinhalt Wt:
"Die Täuschungen, die dann auftreten können, sind absichtslos
und im Mechanismus des Kommunikationsprozesses selbst verankert, da es
ja in der Absicht des Sprechers liegt, Wr zu kommunizieren.
Getäuscht
werden können beide Kommunikationspartner: der Hörer, wenn er
ein Wt als das vom Sprecher Gemeinte versteht, und der Sprecher, wenn
er
glaubt, der andere habe Wr verstanden, dieser tatsächlich aber nur
Wt realisiert hat. Die in beabsichtigter Kommunikation des Wr
auftretenden
absichtslosen Täuschungen können, gemessen an der Differenz
zwischen
Wr und Wt, größer und gewichtiger sein als absichtsvolle."
(Ungeheuer
1983c: 25)
Um so mehr sich ein Gespräch der kruzialen Kommunikation annähert, desto größer ist die Gefahr, daß die Differenz zwischen dem zu vermittelnden und dem konstruierten Wissensinhalt inakzeptabel wird und die Beteiligten zudem die unbeabsichtigten Täuschungen nicht realisieren. Die Vermittlung eines täuschenden Wissensinhaltes ist genauso wie der eines richtigen Inhalt der Fallibilität unterworfen, im für den Sprecher ungünstigsten Fall versteht der Hörer Wr, obwohl er zu Wt gelangen sollte.
Die folgende Tabelle gibt eine einfache Klassifikation verbaler
äußerer
und innerer Täuschungen in Anlehnung an Ungeheuer:
Art | Bezug | Intention | Erfolgsergebnis |
absichtlich | Täuschung | ||
über sich selbst | unabsichtlich | Irrtum | |
Selbsttäuschung | |||
über einen anderen | absichtlich | Täuschung | |
unabsichtlich | Irrtum | ||
Fremdtäuschung | absichtlich | Lüge | |
unabsichtlich | Irrtum |
Abbildung 4: Klassifikation sprachlicher Täuschungen
Der Stellenwert von Selbsttäuschungen darf nicht unterschätzt werden, kommunikativ kommen die unabsichtlichen Täuschungen zum Zuge. Bei Selbsttäuschungen über sich selbst wird irrtümlicherweise angenommen, daß das Gemeinte dem Hörer klar und eindeutig formuliert wurde; außerdem können Sachverhalte fälschlicherweise für zutreffend oder für folgerichtig abgeleitet gehalten werden. In der Selbsttäuschung über andere werden fehlerhafte Urteile gefällt, das gegebene Vertrauen wird gebrochen, oder der Hörer erstellt ein Wt statt des erwarteten Wr. Unabsichtliche kommunikative Täuschungen sind Irrtümer. Die absichtsvollen Selbsttäuschungen scheinen auf den ersten Blick nur flüchtigen Charakter zu haben, beispielsweise wurde ein Wr zugunsten eines Wt verdrängt oder eine Illusion über einen anderen für einen Moment erzeugt.
Absichtslose Fremdtäuschungen sind wegen der Defekte von
Kommunikation
und durch die unvollkommene menschliche Erkenntnis bedingten
Irrtümer
unvermeidlich, die unbeabsichtigte Irreführung des anderen
gehört
zur kommunikativen Praxis. Beabsichtigte sprachliche
Fremdtäuschungen
sind Irreführungen und Ablenkungen, die im Erfolgsfall zu einer
Lüge
führen:
"Die kommunikative Täuschungsabsicht kann in Bezug auf den Partner
zwei Ziele verfolgen: sich selbst, d. h. den Sprecher vor dem
Hörer
zu verbergen (zu verschleiern, zu maskieren), oder den andern zum
Zwecke
der Persuasion irrezuführen in eine ganz bestimmte Richtung oder
ins
Vage, Mehrdeutige, Ungefähre, - ins Nicht-Wissen. Falsches Wissen
oder Nicht-Wissen wird also herbeigeführt entweder zum eigenen
Schutz
oder zur Verführung des andern."
(Ungeheuer 1983c: 28)
Für das persuasive Handeln ist die Lüge von zentraler
Bedeutung,
sie gehört zu den Hauptstrategien. Die Definition der Lüge
ist
umstritten, ebenso ihre Abgrenzung zum Irrtumsbegriff. Lügen hat
wie
die anderen kommunikativen Phänomene zwei Seiten, die Falkenberg
benennt:
"Auch ich werde lügen als Widerstreit zweier Seiten der Person
auffassen, als Entzweiung von verbaler Handlung und Bewußtsein
...
werde ich zu expositorischen Zwecken von der einen Seite als der
'Handlungsseite'
des Lügens sprechen, von der anderen als der
'Bewußtseinsseite'."
(Falkenberg 1982: 21)
Auf der Bewußtseinsseite liegen die Bedingungen und Motive des Lügners, der innere Handlungen vollzieht, und mit dem Entwurf der Lüge, die persuasive Handlung beginnt. Die Handlungsseite wird durch die äußeren Handlungen des Lügners geschaffen, sie führen das "Opfer" irre oder überführen den "Täter" als Lügner.
Der klassische Lügenbegriff faßt die Lüge als Abweichung zwischen dem, was ein Mensch sagt, und dem, was er weiß. Drei Aspekte sind zu kritisieren: das Verb "sagen" ist mehrdeutig, der Lügner muß "wissen", und das, was er sagt, muß "wahr" sein. Das Verb "sagen" kann auf zwei Weisen verwendet werden: zum einen "schwach" als Vollzug eines phonetischen Aktes und zum anderen "stark" als illokutionärer Akt , der eine Behauptung aufstellt. Lügen ist mehr als Laute zu produzieren, es muß ein illokutionärer Akt vollzogen werden, etwas wird "stark" gesagt. Der Lügner muß nicht unbedingt etwas falsches sagen, um zu lügen, denn er kann sich irren im Bewußtsein zu lügen und aus "Versehen" etwas richtiges sagen: die Lüge mißglückt. Eine Person, die etwas falsches behauptet, weil sie einen bekannten Sachverhalt für einen Augenblick nicht präsent hat, lügt im klassischen Sinne, weil sie es schließlich doch weiß. Der klassische Begriff ist zu unpräzise gegenüber dem Irrtumsbegriff abgegrenzt: er macht aus "versehentlich richtig sagen" Irrtümer und aus "versehentlich falsch sagen" Lügen. Außerdem wird zuviel vom Lügner verlangt, er muß die Wahrheit wissen, dies grenzt viele beabsichtigte Täuschungen aus.
Der Lügner muß nicht wissen, sondern nur das bewußt
glauben, was er vertritt. Der Irrtum des Irrenden hängt dagegen
davon
ab, daß das, was er bewußt glaubt, nicht zutrifft. Auch
muß
der Lügner nichts Unwahres sagen, konstituierend für die
Lüge
ist alleinig der Glaube an die Falschheit des Behaupteten und nicht ob
dies tatsächlich falsch ist. Unbeabsichtigte Selbsttäuschung
und beabsichtigte Fremdtäuschung können in dem sich irrenden
Lügner zusammentreffen, gleichfalls passen Lügen und
korrektes
Behaupten ohne weiteres zusammen. Falkenberg faßt zusammen:
"Das Gegenteil der Lüge ist nicht die Wahrheit - wie die
klassische
Theorie annimmt, wenn sie die Falschheit zum Konstituens der Lüge
erklärt (12-2) und dadurch Lüge und Irrtum in einen Topf
wirft
(§15) , sondern die Wahrhaftigkeit; und umgekehrt ist das
Gegenteil
der Wahrheit nicht die Lüge, sondern die Falschheit.
Wahrhaftigkeit
und Wahrheit, Lüge und Falschheit fallen nicht ineins, weil es die
Möglichkeit des Irrtums gibt. Deshalb muß man auch nicht
wissen,
was die Wahrheit ist, um zu wissen, ob etwas eine Lüge ist, und
aus
dem gleichen Grund brauchte eine Theorie der Lüge sich nicht auf
eine
bestimmte Theorie darüber festzulegen, was Wahrheit ist."
(Falkenberg
1982: 55)
Lügen ist das Aufstellen einer Behauptung, die mit dem bewußten Glauben, daß sie falsch ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt vertreten wird. Die Lüge manifestiert sich im Erfolgsfall der Täuschung, sie ist das Ergebnis und der Kommunikationszweck einer Kommunikation, deren Ziel die Verständigung über die Äußerungen ist, die den Hörer anleiten sollen, den täuschenden Inhalt aufzubauen. Lüge und Verständigung stehen nicht in einer gegensätzlichen Relation. Die erfolgreiche Verständigung unter Täuschungsabsicht ist Voraussetzung für die Realisierung der Lüge. Die Lüge ist ein erfolgreicher Kommunikationszweck, der dem Zweck der Persuasion, vorgeschaltet ist. Das Lügen ist eine unter anderen kommunikativen Teilhandlungen im Rahmen der übergeordneten persuasiven Handlung.
Wenn der Lügner den festen Glauben hat, daß das, was er
behauptet
falsch ist, handelt er mit Vorsatz (dolus directus). Ist der
Lügner
unentschieden in seinem Glauben über den behaupteten Sachverhalt,
es kann so sein oder vielleicht auch anders, liegt ein bedingter
Vorsatz
vor (dolus eventualis). In beiden Varianten wird Wahrhaftigkeit
simuliert
und Schein produziert:
"Welchen Schein aber will der Lügner erwecken? Doch denjenigen
er glaube, daß p. Lügen ist ein Fall von vortäuschen,
aber
nicht von vortäuschen zu behaupten, sondern von vortäuschen
zu
glauben. Das kann man wegen der Faktivität von "ausdrücken"
(§23)
auch so formulieren: lügen heißt, so tun als ob man seine
Überzeugung
ausdrückt; in unserer Terminologie heißt dies nicht, so tun
als ob man seine Überzeugung zum Ausdruck bringt (23-5). Der
Lügner
benimmt sich wie jemand, der wahrhaftig ist (aber er spielt nicht
jemanden,
der glaubt). Dadurch, daß er behauptet, daß p, tut er so,
als
glaube er, daß p, weil er jeden spontanen Ausdruck seines
tatsächlichen
gegenteiligen Glaubens, daß nicht p, unterdrückt."
(Falkenberg
1982: 131)
Die kommunikative Asymmetrie bevorzugt den Sprecher und zudem den Lügner, denn der Hörer versucht den unklaren und vieldeutigen Äußerungen einen eindeutigen und klaren Sinn abzugewinnen. Aus eigener Erfahrung weiß der Hörer, daß Gedanken in der Rede entwickelt und vervollständigt werden, der Sprecher genießt einen Bonus und darf sich graduell unstimmig und verworren äußern. Der Umfang der Gutmütigkeit des Hörers orientiert sich an der Einschätzung der Selbstdarstellung, Motivation, Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und an der kommunikativen Kompetenz des Sprechers. Da Lügen Komplexität erhöhen, bei Entdeckung gesellschaftsnotwendiges Vertrauen zerstören und Sanktionen nach sich ziehen können, wird zu Recht die Wahrhaftigkeit von Behauptungen des Sprechers, der seine tatsächlichen Überzeugungen wiedergeben soll, angenommen. Erst wenn Zweifel beim Hörer entsteht, beginnt die Suche nach der Motivation des Sprechers, der möglicherweise mit Unwahrhaftigkeit handelt. Die Wahrhaftigkeit des Sprechers ist für die gegenseitige Verständigung keine Vorbedingung. Der praktische Konsens über die Bedeutung der Beiträge tangiert weder Richtigkeit noch Wahrhaftigkeit der aufgestellten Behauptungen, aus dem Verständigungsakt lassen sich Lüge oder Irrtum nicht ableiten. Unwahrhaftigkeit kann gleichwohl die Folge haben, daß die Kommunikation nach der Realisierung der Verständigung abgebrochen, und der "Täter" "exkommuniziert" wird.
Um den Erfolg der Lüge zu sichern, muß der Lügner Grundsätze und Bedingungen beachten, die je nach individueller Kommunikationstheorie reflektiert und praktisch eingeübt sind. Die möglichen allgemeinen Lügenstrategien sind genauso vielfältig wie es unterschiedliche Erfahrungstheorien gibt. Vollständigkeit ist nicht zu erreichen, deswegen folgt nur eine Skizze der Parameter. Der "gute" Lügner muß:
· die Vertrauenswürdigkeit der Person oder Institution
sicherstellen
· die Glaubwürdigkeit in der Sache erzielen
· Kenntnisse über die Welttheorie des "Opfers" (Wissen,
Vorurteile usf.) und der speziellen Situationsbedingungen ausnutzen
· die authentische Nachahmung oder Simulation einer wahrhaftigen
Rede meistern
· Übertreibungen, Unverhältnismäßigkeiten,
Unstimmigkeiten, Auffälligkeiten der Darstellung und der
Selbstdarstellung
vermeiden; durch Beiläufigkeit, Gelassenheit und
Zurückhaltung
die Seriösität der Lüge fördern
· Präzision, Konstanz und Widerspruchsfreiheit der Details
der Lüge gewährleisten
· das Täuschungsmotiv verdunkeln und verschleiern
· die entlarvten Lügen mit harmlosem Motiv etikettieren.
Lügen bedeutet einen wahrhaftigen Kommunikationsprozeß, von dem vorausgesetzt wird, das dies der "normale" Fall sei, zu simulieren. Der Bruch mit der "Normalität" wahrhaftiger Dialoge ist für den "Täter" ein hohes Risiko, er will auf keinen Fall den Verdacht einer Lüge aufkommen lassen. Das Bewußtsein der Lüge, die Diskrepanz zwischen eigenem Glauben und dem Behaupteten, die Furcht vor der Entlarvung und die Gebote von Moral und Erziehung bauen Spannungen auf, die der Lügner verbal und nonverbal kontrollieren muß. Der Lügner erhöht die Komplexität seiner Situation, um die Lüge zu beherrschen, im Gegensatz zum vertrauenden Opfer, das vertrauend seine Komplexität vermindern kann. Spezifische Lügensignale auf der nonverbalen Ebene sind beispielsweise Nervosität, Unstimmigkeit im Bewegungsablauf, Erröten, Zerstreutheit, Angstzustände, undeutliche Artikulation und unsicherer Blickkontakt. Dies sind Indizien und keine Beweise für das Lügen des "Täters", sie erwecken jedoch den Verdacht des wachsamen "Opfers".
Verbal muß sich der Lügner auf eine widerspruchsfreie Präsentation der Fakten oder Argumente konzentrieren, Fragmente des selbst geglaubten, richtigen Sachverhalts dürfen nicht versehentlich geäußert werden. Außerdem darf die Strategie des Lügners weder offensichtliche Mängel haben noch ihrer Struktur nach die Täuschungshandlung anzeigen. Ganz problematisch für den Lügner ist die Einbettung der Lüge in Formen der Wahrheitsbeteuerung, Vertrauensappelle, Schwüre oder Ehrenworte , der Verdacht, einer Lüge liegt nahe. Im einfachen Fall glaubt der Hörer nach der Verständigung dem Sprecher: der kommunikative Zweck, die Konstruktion der Lüge, ist erreicht. Komplizierter wird die Situation, wenn das "Opfer" einen Verdacht aufgrund von Zweifeln über Glaubwürdigkeit und Stimmigkeit oder wegen der Diagnose von Lügensignalen hat und diese kommunikativ ausräumen will. Ein zusätzlicher Dialog kann den Verdacht entkräften, ihn bestehen lassen oder den Lügner überführen. Die Überführung des Lügners hebt die persuasive Asymmetrie von "Täter" und "Opfer" auf, zumeist ist dann die unmittelbare Fortsetzung und der Erfolg der persuasiven Handlung ausgeschlossen.
Der Kommunikationsprozeß läßt sich vom Persuasionsprozeß nicht am äußeren Handeln zuverlässig unterscheiden, da die Bewußtheit und Akzentuierung der Zwecke sowie die Auswahl der Pläne und Mittel nur im inneren Handeln der Beteiligten unmittelbar erfahrbar ist. Weil die Grenze zwischen kommunikativen und persuasiven Handeln nicht immer eindeutig zu ziehen ist, persuasives Handeln stets als kommunikatives Handeln erscheint und jedes Erreichen eines Kommunikationszwecks etwas Persuasives aufweist, trägt jeder Kommunikationsprozeß einen persuasiven Charakter.
[...]
Die medialen Reden sind Reden ohne Antwort, die Hörer befinden sich in absoluter kommunikativer Asymmetrie: sie stecken in der "Zwangsjacke" des Mediums. Das Bemühen, Leser, Zuschauer oder Zuhörer zu aktivieren und Interaktion anzustoßen, schafft im besten Fall die Illusion einer abgeschwächten Einseitigkeit des Kommunikationsprozesses. Da der Rezipient der Massenmedien weder unmittelbar nachfragen noch kritisieren darf, die vom Medium erwünschten Antworten stets vorbereitet oder selektiert sind, und die mittelbare Rückmeldung äußerst eingeschränkt ist, besteht keine Aussicht die radikale Asymmetrie zu lockern. Der Hörer ist verurteilt, stumm zu bleiben, und das fördert eine ohnmächtige und passive Haltung zum Massenmedium bis hin zur sozialen Subordination.
Die Allgegenwärtigkeit der Medien erschwert die Distanzierung
von
der kollektiven Unterordnung, und doch ist die Kontrolle der Quelle und
des Senders keine absolute Kontrolle, wie Eco 1967 im Vortrag "Für
eine semiologische Guerilla" formuliert:
"Denn immerhin hat der Empfänger ja beim Empfang der Botschaft
noch einen Rest von Freiheit, nämlich sie anders zu lesen." (Eco
1996b:
149)
Die medialen Sender kontrollieren die Form der Nachricht, jedoch nicht
die Lesart und die Erstellung von Information. Selbst wenn die
Interpretationen
von Nachrichten beim Publikum ähnlich erscheinen, bleibt die
Rezeption
offen und unbestimmt. Die subjektive Bedeutungskonstruktion des
Hörers
verläuft unter dem "Schutz" der Innen-Außen-Dichotomie und
ist
somit die Grenze jeder Medienmacht. Um das Anders-Lesen und -Hören
des Rezipienten zu aktivieren, schlägt Eco vor:
"Eine komplementäre Manifestation, eher ergänzend als
alternativ
zu den Manifestationen der Technologischen Kommunikation, eine laufende
Überprüfung der Codes, eine ständig erneuerte
Interpretation
der Massenbotschaften. Die Welt der Technologischen Kommunikation
würde
dann sozusagen von Kommunikationsguerilleros durchzogen, die eine
kritische
Dimension in das passive Rezeptionsverhalten einbrächten. Aus der
Drohung vom Medium als der Botschaft könnte, angesichts der Medien
und ihrer Botschaften, eine Rückkehr zur individueller
Verantwortlichkeit
hervorgehen. Gegenüber der anonymen
Gottheit der Technologischen Kommunikation könnte unsere
Antwort lauten: 'Nicht Dein, sondern unser Wille geschehe.' "
(Eco 1996b: 156)
Eine Kommunikationsguerilla muß nach Meinung Ecos die
Rezipienten
motivieren, die medialen Nachrichten kritisch zu prüfen. Eine
direkte
Mitwirkung externer und systemunerwünschter Gruppen ist in den
Massenmedien
nicht vorgesehen, das System kann durch Beiträge von Außen
nicht
im Geltungsanspruch relativiert werden. Einer Kommunikationsguerilla
bleibt
nur eine indirekte Medienkritik: sie muß durch gezielte Aktionen,
das Wahrheitsmonopol der Massenmedien untergraben. Das Publikum
weiß
oder ahnt den fiktiven Charakter der Berichterstattung, doch es bedarf
der Irritation von Gewohnheiten, um sich die Relativität der
Darstellungen
zu vergegenwärtigen. In einem Artikel aus dem Jahr 1978
konstatiert
Eco:
"So kommt es im Zeitalter der elektronischen Information
allmählich
zur Ausbreitung einer neuen Form von nicht gewaltsamer (jedenfalls
unblutiger)
Guerilla: zur Guerilla der Fälschung ... Die neuen Formen von
subversiver
Guerilla zielen dagegen auf eine Schwächung des Systems durch
Zersetzung
jenes feinmaschigen Konsensgewebes, das auf einigen Grundregeln des
Gemeinschaftslebens
beruht."
(Eco 1996c: 164 - 165)
Am Widerstand von Rezipienten, die sich gegen die ungleiche
Medienkommunikation
zur Wehr setzen, zeigt sich eine andersartige Form von Persuasion. Die
Auflehnung gegen mediale Systeme, die strukturell asymmetrisch
funktionieren
und ihre kommunikative Rigidität nur durch Destruktion verlieren
würden,
muß mit einem anderen Ansatz als in einer face-to-face Persuasion
zwischen Beteiligten, bei denen Sprecher und Hörer ihre Rollen
tauschen
können, realisiert werden:
"Da, wo es unmöglich erscheint, die Modalitäten des Sendens
und die Form der Botschaften zu verändern, bleibt es möglich
(als eine ideale semiotische 'Guerilla'), die Umstände zu
verändern,
in deren Licht die Empfänger die Lektürecodes auswählen
werden. Gegen eine Strategie der Kommunikation, die sich bemüht,
die
Botschaften so redundant zu machen, daß deren Rezeption nach den
vorher festgelegten Plänen gesichert ist, zeichnet sich die
Möglichkeit
einer Taktik der Decodierung ab, die verschiedene Umstände
für
verschiedene Decodierungen herstellt, wobei die Botschaft als
signifikante
Form unverändert bleibt ..." (Eco 1991: 441)
Es stellt sich die Frage, wie die persuasiven Mittel einer
semiotischen
Guerillataktik beschaffen sein können. Eine mögliche Antwort
gibt das "Handbuch der Kommunikationsguerilla", in dem die Autoren die
grundsätzlichen Vorgehensweisen ausführlich diskutieren; sie
verwenden den Begriff der Kommunikationsguerilla wegen seiner
weitreichenden
Praxis auch für die face-to-face Kommunikation. Der
Ausgangsbegriff
des Autorenkollektivs ist die Kulturelle Grammatik einer Gesellschaft:
"Mit Kulturelle Grammatik bezeichnen wir das Regelsystem, das
gesellschaftliche
Beziehungen und Interaktionen strukturiert. Es enthält die
Gesamtheit
der ästhetischen Codes und der Verhaltensregeln, die das
gesellschaftlich
als angemessen empfundene Erscheinungsbild von Objekten und den
normalen
Ablauf von Situationen bestimmen. Die kulturelle Grammatik ordnet die
zahllosen,
auf allen Ebenen einer Gesellschaft sich alltäglich wiederholenden
Rituale. Auch gesellschaftliche Raum- und Zeiteinteilungen, die
Bewegungsformen
und Kommunikationsmöglichkeiten vorgeben, sind darin enthalten."
(Autonome a.f.r.i.k.a. - gruppe/Blisset/Brünzels 1997: 17 - 18)
Die Regeln dieser Grammatik sind - ähnlich den Regeln des
Sprachsystems
- nie endgültig und unwiderruflich, das alltägliche und
selbstverständliche
Handeln der Akteure produziert, reproduziert und falsifiziert die
kulturellen
Vorschriften. Im abstrahierend ermittelten Regelsystem spiegeln sich
auch
die gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse wider:
Machtausübung
und Unterordnung bewegen sich in definierten Bahnen, Rituale und Formen
dominieren vor direktem Zwang und regeln die Abläufe. Es gibt
kommunikative
Regeln der Kulturellen Grammatik, die festlegen, wer etwas, zu welcher
Zeit und an welchem Ort sagen darf; hierdurch werden die
Möglichkeiten
des Hörers die Sprecherrolle zu übernehmen abgesteckt. Das
Ziel
der Kommunikationsguerilla ist, die Ordnung der Kulturellen Grammatik
zu
stören, durcheinanderzubringen und zu durchbrechen, um den Beweis
zur erbringen, daß andere Lesarten oder
Wirklichkeitskonstruktionen
möglich sind:
"Kommunikationsguerilla ist der Versuch, durch Eingriffe in den
Kommunikationsprozeß
subversive Wirkungen hervorzubringen. Die vielfältigen Methoden
und
Techniken, die dabei genutzt werden, funktionieren nach zwei
grundsätzlichen
Prinzipien: den Prinzipien der Verfremdung und der
Überidentifizierung.
Verfremdungen beruhen auf subtilen Veränderungen der Darstellung
des
Gewohnten, die neue Aspekte eines Sachverhalts sichtbar machen, Raum
für
ungewohnte Lesarten gewöhnlicher Geschehnisse schaffen oder
über
Verschiebungen Bedeutungen herstellen, die nicht vorgesehen oder
erwartbar
sind. Überidentifizierung dagegen bedeutet, solche Aspekte des
Gewohnten
offen auszusprechen, die zwar allgemein bekannt, zugleich aber auch
tabuisiert
sind."
(Autonome a.f.r.i.k.a. - gruppe/Blisset/Brünzels 1997: 46)
Durch Verfremdung und Überidentifizierung soll die Ordnung der
Dinge und des Diskurses gestört werden. Die Erzeugung von Distanz
eröffnet den kritischen Blick auf Selbstverständliches und
ermöglicht
die Konstruktion alternativer Bedeutungen. Auf der Grundlage der beiden
Prinzipien beruhen die persuasiven Methoden der
Kommunikationsguerilleros:
"Die Erfindung falscher Tatsachen zur Schaffung wahrer Ereignisse ist
eine Methode, die Mechanismen offenzulegen und zu kritisieren, die die
hegemoniale Produktion medialer und politischer Bilder von Wirklichkeit
bestimmen. Diese Methode geht über die
analytisch-aufklärerische
Formen von Information und Gegeninformation weit hinaus: Sie greift
nicht
die konkrete Darstellung von Themen an, sondern treibt ihr Spiel mit
den
Mechanismen, durch die Politik und Medien gesellschaftlich relevante
Ereignisse
produzieren."
(Autonome a.f.r.i.k.a. - gruppe/Blisset/Brünzels 1997: 58)
Damit die Methode Erfolg haben kann, muß die Verteilung des
Erfundenen
über eine vertrauenswürdige Person oder ein
vertrauenswürdiges
Medium geschehen, das wiederum erfunden sein kann. Falschmeldungen
erschüttern
das Vertrauen in die Medien, sie beeinträchtigen den implizit und
explizit vorhandenen Anspruch auf objektive und
wahrheitsgemäße
Berichterstattung. Eine große Wirkung und strafrechtliche
Dimension
hat die Technik der Fälschung (engl. fake):
"Das Herstellen von Fakes ist eines der beliebtesten
Betätigungsfelder
von Kommunikationsguerillas ... Es ahmt die Stimme der Macht
möglichst
perfekt nach, um für einen begrenzten Zeitraum unentdeckt in ihrem
Namen und mit ihrer Autorität zu sprechen ... Ziel ist es
vielmehr,
einen Kommunikationsprozeß auszulösen, bei dem - oft gerade
durch die (beabsichtigte) Aufdeckung der Fälschung - die Struktur
der gefaketen [gefälschten] Kommunikationssituation selbst zum
Thema
wird ... Die Taktik des Fakens beruht auf einem Paradox: Das Fake
sollte
einerseits möglichst wenig als solches erkennbar sein (die
Fälschung
muß gut sein), es soll aber zugleich einen
Kommunikationsprozeß
auslösen, in dem klar wird, daß die Information falsch war:
Das Fake muß aufgedeckt werden. Kurzgefaßt lautet die
Formel:
Fake = Fälschung + Aufdeckung/Dementi/Bekenntnis."
(Autonome a.f.r.i.k.a. - gruppe/Blisset/Brünzels 1997: 65 - 69)
Der Fälschung folgt häufig ein Dementi, um die gestörte Ordnung wiederherzustellen; dies können die Fälscher vorhersehen und mit einer weiteren Fälschung beantworten. Außerdem kann ein Dementi gefälscht werden, um ein Dementi des Dementi zu provozieren. Für den Rezipienten soll ein Raum entstehen, in welchem Wahrheit und Unwahrheit nicht mehr klar zu unterscheiden sind. Durch Fälschungen wird keine neue Wahrheit verbreitet: die Wahrheit selbst kommt in eine Krise, wenn das Systemvertrauen in die Medien untergraben wird.
Als letzte Methode wird die Entwendung und Umdeutung vorgestellt,
sie
hat das Ziel, die gewohnte Perspektive auf Bekanntes fragwürdig zu
machen:
"Unter Entwendung bzw. Umdeutung wird eine Methode der Verfremdung
verstanden, die den Blick auf allgemein bekannte Gegenstände oder
Bilder verändert, indem sie sie aus ihrem gewohnten Kontext
herausreißt
und in einen neuen, ungewohnten Zusammenhang stellt. Diese Methode [,
die]
in der Popkultur Sampling genannt wird, erfolgt im visuellen Bereich
zumeist
über Collagen oder Montagen, inzwischen auch per Computer.
Allerdings
können ebenso Begriffe oder Sätze entwendet werden."
(Autonome a.f.r.i.k.a. - gruppe/Blisset/Brünzels 1997: 87)
Besonders an der Methode der Entwendung und Umdeutung wird die Nähe zur künstlerischen Arbeit deutlich, Künstler arbeiten mit gleichen oder ähnlichen Mitteln wie die Kommunikationsguerilla, um die Wahrnehmungsmuster und Deutungsschemata des Publikums zu erschüttern.
Die bewußte Aufgabe der Ziele Aufklärung, Überzeugung und Wahrheit zugunsten lokaler, momenthafter Irritationen der Rezipienten ist eine Absage der Kommunikationsguerilleros an politische und wissenschaftliche Ideologien, die Objektivität vortäuschen und Simulationen von Wirklichkeit als Wahrheiten vermitteln. Der Anspruch auf eine bessere Ideologie, Utopie oder Wahrheit wird nicht erhoben, im Rezipienten soll die Erfahrung der Vieldeutigkeit der Wirklichkeit und die Wahrheit der Relativität aller Wahrheit hervorgerufen werden.
Alle persuasiven Methoden der Kommunikationsguerilla zeigt Abbildung
11 im Überblick:
Persuasionsmittel | Beispiele |
Erfindung von Ereignissen | fingierter Telephonanruf über ein fiktives Ereignis |
Camouflage | Konventionelle Popsongs mit subversiven Texten |
Herstellen von Fälschungen | Gefälschte Pressemitteilungen, Freifahrscheine usf. |
Subversive Affirmation [38] | Die falschen Leute machen zuviel des 'Richtigen' |
Entwendung, Umdeutung | Parodien aller Art, moderne Kunstwerke |
Abbildung 11: Subversive, mediale Persuasionsmittel
Die Vernunft dominiert und fundiert nach der Ansicht von Habermas
die
Sprechakte und die Lebensform der Gesellschaftsmitglieder. Die
Hörakte
des Hörers sowie die menschlichen Emotionen werden als
Größen
des kommunikativen Handelns nicht berücksichtigt. Um die
Aktivität
der Kommunizierenden zu erfassen, ist nach Habermas eine Theorie der
kommunikativen
Kompetenz erforderlich, die den Gegenstand einer Universalpragmatik,
der
allgemeinen Strukturen möglicher Redesituationen, behandelt:
"Elementare Äußerungen sind die Grundeinheiten des
Gegenstandsbereichs
der Universalpragmatik. Die Aufgabe der Universalpragmatik als einer
Theorie
der kommunikativen Kompetenz sehe ich darin, das System von Regeln zu
rekonstruieren,
nach dem kommunikativ kompetente Sprecher aus Sätzen
Äußerungen
bilden und in andere Äußerungen umformen. Die konkreten
Äußerungen
sind Gegenstand der empirischen Pragmatik." (Habermas 1971: 107)
Die Intersubjektivität wird durch die Existenz der
pragmatischen
Universalien als Regelsysteme sichergestellt: sie sind Bedingungen, um
die Dialoge zwischen handlungsfähigen Subjekten hervorzubringen,
und
erlauben zugleich eine sprachliche Darstellung von Situationen. Das
kommunikative
Handeln wird von Habermas in zwei Klassen aufgeteilt:
"Wir können mithin zwei Formen der Kommunikation (oder der 'Rede')
unterscheiden: kommunikatives Handeln (Interaktion) auf der einen
Seite,
Diskurs auf der anderen Seite. Dort wird die Geltung von
Sinnzusammenhängen
naiv vorausgesetzt, um Informationen (handlungsbezogene Erfahrungen)
auszutauschen;
hier werden problematisierte Geltungsansprüche zum Thema gemacht,
aber keine Informationen ausgetauscht. In Diskursen suchen wir ein
problematisiertes
Einverständnis, das im kommunikativen Handeln bestanden hat, durch
Begründung wiederherzustellen: in diesem Sinne spreche ich fortan
von (diskursiver) Verständigung." (Habermas 1971: 115)
Die Unterscheidung zwischen kommunikativem Handeln und Diskurs ist
unpräzise,
denn diskursives Handeln muß notwendig auch kommunikatives
Handeln
sein. Im Diskurs wird über kontroverse Meinungen und Normen
entschieden.
Voraussetzung für den Diskurs ist die Zurechnungsfähigkeit
der
vernunftfähigen und vernunftgeleiteten Teilnehmer, die zwischen
Sein
und Schein differenzieren können. Verständigung im Sinne von
Habermas entspricht der Herstellung eines wahren Konsenses. Die Geltung
des Konsenses muß mit einer Wahrheitstheorie erklärt werden.
Im Gegensatz zu ontologischen Wahrheitstheorien, die Aussagen über
Vorgänge oder Objekte in Korrespondenz zu den "wirklichen"
Gegebenheiten
setzen, ist die Konsenstheorie der Wahrheit ein Ansatz, Wahrheit
abhängig
von der Zustimmung einer Menge von Personen zu definieren. Aussagen
gelten
konsensuell als wahr, wenn potentiell unendlich viele Menschen unter
idealen
Kommunikationsbedingungen der Aussage allgemein zustimmen. Die
Vorwegnahme
von vernunftgeleiteten Subjekten und einer idealen Sprechsituation ist
für einen Diskurs unerläßlich, damit die
Wahrheitsfindung
nicht von externen Störgrößen wie Unwahrhaftigkeit,
Abhängigkeit,
Herrschaft, Zwang und Täuschung beeinträchtigt wird:
"Ideal nennen wir im Hinblick auf die Unterscheidung des wahren vom
falschen Konsensus eine Sprechsituation, in der die Kommunikation nicht
nur nicht durch äußere kontingente Einwirkungen, sondern
auch
nicht durch Zwänge behindert wird, die aus der Struktur der
Kommunikation
selbst sich ergeben. Die ideale Sprechsituation schließt
systematische
Verzerrung der Kommunikation aus. Nur dann herrscht
ausschließlich
der eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Argumentes, der die
methodische Überprüfung von Behauptungen sachverständig
zum Zuge kommen läßt und die Entscheidung praktischer Fragen
rational motivieren kann. Ich möchte nun nachweisen, daß die
Kommunikationsstruktur selber dann und nur dann keine Zwänge
produziert,
wenn für alle möglichen Beteiligten eine symmetrische
Verteilung
der Chancen, Sprechakte zu wählen und auszuüben, gegeben ist
... Die kontrafaktischen Bedingungen der idealen Sprechsituation
erweisen
sich als Bedingungen einer idealen Lebensform." (Habermas 1971: 137 -
139)
Das Konzept der idealen Sprechsituation ist für die Theorie von
Habermas fundamental. Diskurse ohne äußere Einwirkung und
Zwang
sowie mit annähernd symmetrischer Verteilung der Sprecherrollen
sind
jedoch empirisch selten oder nie vorzufinden. Der empirische Einwand
ist
für Habermas unproblematisch, er bezeichnet sein Konstrukt selbst
als kontrafaktisch, es hat den Status einer Unterstellung:
"Gleichwohl gehört es zur Struktur möglicher Rede, daß
wir im Vollzug der Sprechakte (und der Handlungen) kontrafaktisch so
tun,
als sei die ideale Sprechsituation (oder das Modell reinen
kommunikativen
Handelns) nicht bloß fiktiv, sondern wirklich - eben das nennen
wir
eine Unterstellung. Das normative Fundament sprachlicher
Verständigung
ist mithin beides: antizipiert, aber als antizipierte Grundlage auch
wirksam
... Der Vorgriff auf die ideale Sprechsituation hat für jede
mögliche
Kommunikation die Bedeutung eines konstitutiven Scheins, der zugleich
Vorschein
einer Lebensform ist."
(Habermas 1971: 140 - 141)
Die ideale Sprechsituation, an der alle konkreten Diskurse gemessen werden sollen, ist auf zweifache Weise ideal: sie ist ideal gegenüber externen Faktoren, die nicht stören dürfen, und ihre internen Bedingungen sind ideal: die pragmatischen Universalien ermöglichen Sprechakte, die in symmetrischer Verteilung und unverzerrter Kommunikationsstruktur dem "besseren" Argument zum Erfolg verhelfen. Das "bessere" Argument ist im Diskurs unter idealen Bedingungen eine wahrheitsschaffende Größe und wird von den Beteiligten durch einen wahren Konsens gefunden.
Der Konstruktionsfehler der idealen Sprechsituation zeigt sich nicht an der Tatsache, daß sie permanent empirisch falsifiziert wird, sondern an der Idealisierung der internen Bedingungen. Das Modell vernachlässigt die Ungleichheit der Handelnden, die Fundamentalstruktur kommunikativen Handelns und die Innen-Außen-Dichotomie. Menschen leben in individuellen Welttheorien und individuellen Kommunikationstheorien, ihre kommunikativen Möglichkeiten sind höchst unterschiedlich: es gibt "schwache" und "starke" Sprecher, es gibt "schwache" und "starke" Hörer. Die aktive und passive Verwendung der Zeicheninventare ist ungleich verteilt, auch wenn externe Störungen ausbleiben, reicht es nicht aus, nur zurechnungsfähig zu sein, um ein Argument adäquat mitzuteilen, korrekt zu verstehen und als bestes Argument zu erkennen. Habermas macht zudem die stillschweigende Voraussetzung, daß die Verständigung über die konsensuelle Verständigung immer täuschungsfrei möglich ist. Den zweifelsfreien Beweis gegenseitiger Verständigung kann er jedoch in einem Diskurs, der sich kruzialer Kommunikation annähert und somit von übergeordneten Sozialhandlungen weitgehend löst, wegen der fehlenden objektiven Verständigungskontrollen nicht erbringen. Gerade in einem kruzialen Diskurs wächst die Wahrscheinlichkeit von Irrtümern und Mißverständnissen: die Fallibilität der kommunikativen Akte kommt voll zur Geltung.
Die ideale Sprechsituation offenbart sich als Chimäre, wenn die Struktur der kommunikativen Fundamentalhandlung betrachtet wird. Damit ein Hörer das Gemeinte rekonstruieren kann, muß er sich dem Sprecher unterordnen: die sprachlichen Formulierungen als äußeres Handeln führen und leiten das innere Handeln des Hörers, das auf Verständigung abzielt. Die Subjektion des Hörers unter die Dominanz des Sprechers ist zwingend erforderlich, um den Kommunikationsprozeß in Gang und zum Erfolg zu bringen. Der Hörer steht unter dem strukturell-kommunikativen Zwang sich einzulassen, der Steuerung des Sprechers Folge zu leisten oder den Kommunikationsprozeß abzubrechen. Für einen eloquenten Sprecher bringt die Asymmetrie der Kommunikationsphasen einen Vorteil, den Vernunft und Kooperationswille nicht eliminieren können. In jeder Kommunikationsphase eines Kommunikationsprozesses steckt immer eine Dominanz und ein Zwang, potentiell wird der Prozeß in jeder Phase verzerrt, schafft soziale Ungleichheit oder verhindert die Zustimmung zum "besseren" Argument. Die kommunikative Subjektion nimmt jedem Kommunikationsprozeß den von Habermas postulierten idealen Schein: die ideale Sprechsituation ist nicht wahrheitsfähig. Kommunikationsprozesse müssen, um zu funktionieren, einen durch die Subjektion bedingten persuasiven Charakter tragen.
In Anlehnung an Habermas ist die ideale Sprechsituation als
Kriterium
für konkret vorkommende Argumentationen rezipiert worden,
Völzing
sekundiert:
"Kooperative Argumentationen oder, wie es Habermas 1971, 1973 und 1976
nennt, Diskurse, haben die Funktion, als Maßstab für alle
Vorkommen
von Sprache zu dienen, von denen behauptet wird, sei es nun
ausgesprochen
oder unausgesprochen, daß sie argumentativen Zwecken dienen."
(Völzing
1979: 14)
Nach der Einführung eines idealen Maßes kann Völzing
jede Argumentation als kooperativ oder strategisch klassifizieren:
"Wir haben bis jetzt folgende Typen von Argumentationen kennengelernt,
die sich vor allem durch den Zweck, zu dem sie geführt werden,
unterscheiden:
- kooperative Argumentationen, die der Findung eines wahren Konsenses
dienen, in denen jeder nach bestem Wissen und Gewissen das, was er
meint,
fühlt und wünscht, beiträgt. Ziel ist es, den Anderen
[anderen]
zu überzeugen.
- strategische Argumentationen, in denen alle Kommunikationsteilnehmer
so tun, als ob sie sich in einer kooperativen befänden, in
Wirklichkeit
verfolgt aber jeder sein Ziel, das vor allem ihm nützt, dem
anderen
aber evtl. sogar schadet. Ziel ist es, den Gegenüber zu
überreden."
(Völzing 1979: 204)
Die Unmöglichkeit einer idealen Sprechsituation läßt
die von Völzing getroffene Unterscheidung von Überzeugen und
Überreden nicht zu. Völzing assoziiert Eigennutz mit
Überreden,
noch negativer formuliert Kopperschmidt:
"Insofern kann Überredung als eine Erscheinungsweise von Gewalt
verstanden werden, die sich nicht selten mit anderen Formen von Gewalt
verbindet ..." (Kopperschmidt 1973: 150)
Kopperschmidt stützt seine "Allgemeine Rhetorik" ebenfalls auf
die Theorie der kommunikativen Kompetenz von Habermas, Überzeugen
wird nach der Abwertung des Überredens mit Persuasion
gleichgesetzt:
"Der Versuch, argumentativ diesen Konsens herzustellen, läßt
sich mit dem bisher schon verwendeten Begriff überzeugen
beschreiben
und entsprechend eine so orientierte Kommunikation als
überzeugende
bzw. - wie es in dieser Arbeit heißen wird - als Persuasive
Kommunikation
kennzeichnen." (Kopperschmidt 1973: 18)
Auch Kopperschmidts Ansatz fällt mit der Unmöglichkeit einer idealen Sprechsituation, so daß die Identifizierung von Überzeugen mit Kooperation, Gemeinnutz oder konsensueller Wahrheit nicht gerechtfertigt ist.
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